// Antonia Steger  // 29. Juli 2012

Wenn sich Schweizer selber feiern

Kaum 3 Minuten mit der S-Bahn aus Zürich raus, kann man ganze Kulturschocks erleben. Dieses Plakat steht in Schlieren und gibt sich grosse Mühe, an einen heimeligen Nationalfeiertag zu mahnen:


"Wir laden Sie herzlich ein, mit uns in stimmungsvoller Umgebung einige frohe Stunden zu verbringen." Das klingt schon fast südländisch-aufgestellt, jedoch führt das Programm mit musikalischer Unterhaltung eines Lokalmatadoren und Lampionumzug schnell in die Schweizer Realität zurück. Doch der Kulturschock packte mich an ganz anderer Stelle.
"Wir bitten die Bevölkerung höflich, die Häuser zu beflaggen."
...
Ja?
Also wirklich?
Ist es die Pflicht eines jeden Schliermers, eine Flagge zu Hause zu horten?
Um im grossen Moment die gebeutelte Schweizer Seele an den Fassaden zur Schau stellen zu können?
"Oh je", dachte ich mir. "Wenn die ersehnte Festlichkeit bei soviel höflicher Mahnung bloss nicht vor die Hunde geht." So viel Anstrengung fürs Schweizersein an einem Ort mit 44% Ausländeranteil (Zürich hat 38%). Fast traurig-rührend, dann wieder etwas zum Körbeln. Ich stelle mir vor, etwas mehr als halb Schlieren in rot-weisse Tücher gehüllt, ein paar fröhliche Schweizer innerhalb ihrer Grenzen auf den Putz hauend - früher oder später, schon ein wenig angeheitert, müssen die 44% Lücken an den Fassaden auffallen; früher oder später wird sich SVP-Polemik in die Gespräche mischen; früher oder später würde die Bundesfeier zu einer sozialen Ein- und Ausschlussveranstaltung geraten; zum Dünger für die verinnerlichte Beleidigung der Schweizer Seele; für Wut, die aus Angst geboren wird.
Flaggen sind nicht feierlich. Sie schüren Grenzen, schliessen die einen aus, die anderen ein. Ich hätte keine Lust, noch öffentlich zum Patriotismus genötig zu werden. Ich hätte mehr Lust, die Grenzen zu vermindern, statt sie auszustellen. Ich würde am Bundesfeiertag lieber die Gelegenheit nutzen und  meinen iranischen Nachbarn zum Tee einladen. Und mit meinen deutschen Freunden mal wieder so richtig um die Häuser ziehen.
Ich schlage einen Versuch vor: Genug Selbstbewusstsein, dass ein Nationalfeiertag auch ohne Pflicht zur Ausstellung des Nationalstolzes funktioniert. Dafür mit etwas mehr grosszügiger Menschlichkeit.

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