// Antonia Steger  // 29. Juli 2012 0 Kommentare

Wenn sich Schweizer selber feiern

Kaum 3 Minuten mit der S-Bahn aus Zürich raus, kann man ganze Kulturschocks erleben. Dieses Plakat steht in Schlieren und gibt sich grosse Mühe, an einen heimeligen Nationalfeiertag zu mahnen:


"Wir laden Sie herzlich ein, mit uns in stimmungsvoller Umgebung einige frohe Stunden zu verbringen." Das klingt schon fast südländisch-aufgestellt, jedoch führt das Programm mit musikalischer Unterhaltung eines Lokalmatadoren und Lampionumzug schnell in die Schweizer Realität zurück. Doch der Kulturschock packte mich an ganz anderer Stelle.
// Antonia Steger  // 21. Juli 2012 2 Kommentare

Plastik und Postmoderne

Zwei Ausstellungen in Zürich machen Lust, wieder einmal ins Museum zu gehen. Anbetung von verstaubten Objekten ist dabei Vergangenheit.

Quelle: www.plasticgarbageproject.org
Die Ausstellung "Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt" im Museum für Gestaltung will ein breites Publikum erreichen. Nach seinem gratis Eintritt steht der Besucher als erstes vor einem Berg Plastikmüll aus Hawaii (klimaneutral transportiert - mit Velo?). Diese Begrüssung ist effektvoll, didaktisch, aber ohne durch erhobenen Zeigefinger zu erschlagen. Der Plastikberg weist nämlich eine eigene Ästhetik auf, salzige Meeresspuren, und erinnert an alte Strandferien. 

Die simpel designte Ausstellung lässt tief blicken. Im Pazifik drehen Plastikmüllstrudel von kontinentalem Ausmass, mikroskopische Plastikteilchen verwandeln die Meere in Abfallsuppen, worunter sowohl Tiere, aber auch zuletzt wieder wir Menschen leiden. Die Vermittlung vermeidet aber tunlichst alles Lehrerhafte. Die Fakten sind mit künstlerischen Mitteln dargestellt, seien das alte Zahnbürsten, Fotostrecken von toten Vögeln oder eine knallbunte Comicsatire.

Doch nicht nur belehren will die Ausstellung, sie tritt mit ihren Besuchern ins Gespräch. Es werden Lösungsvorschläge diskutiert und das Begleitprogramm von der Designwerkstatt für Kinder bis zu Gesprächen mit diversen Experten beeindruckt.

Zu sehen ist hier nicht zuletzt ein modernes Ausstellungskonzept, das überzeugt. Weg von einer blinden Objektverehrung werden die Alltagsgegenstände in verständliche Informationen eingebunden. Der Besucher soll nicht unbeteiligt durch Staubwüsten des Altertums wandeln, sondern sich angesprochen fühlen und möglicherweise sogar einen kleinen Anreiz erhalten, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Hinauslaufen und denken, "Mensch, da geht mich doch etwas an."


Quelle: www.landesmuseum.ch
Ebenso einen nicht allzu historischen Bezug verfolgt die Ausstellung "Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990". Die Musik von Michael Jackson, Prince und den üblichen Verdächtigen springt dem Besucher schon beim Eintreten mitten durchs emotionale Gedächtnis und befördert die ganze Stimmung gleich in diese seltsame Epoche: die Postmoderne.

Was ist das? Sinnéad O'Connors "Nothing compares" zu seltsamen Architekturauswüchsen? Knallbunte, nicht umsetzbare Design-Prototypen neben dem "Lauf der Dinge" von Fischli/Weiss? (Letzteres übrigens immer wieder faszinierend anzuschauen!) Pop, Show, Glitzer und zum Schluss eine 2000 Jahre alte, sauwertvolle Vase, von Ai Wei Wei mit dem Schriftzug von Coca Cola bemalt?

Ja, auch nach dem Besuch der Ausstellung rätselt der Besucher weiter, was diese Epoche eigentlich kennzeichnet. Diese Epoche, die für die heute Jungen schon etwas Ältliches verströmt, ja bereits brühwarm erinnerte Geschichte darstellt. Die also vorbei ist und in ihrer absoluten Verrücktheit doch nicht benennbar wird. Damit scheinen schliesslich selbst die Experten so ihre Mühe zu haben:



Vielleicht war die Postmoderne eher ein Lebensgefühl denn ein stringentes Programm. Die Vielzahl an Dingen nebeneinander, das Zitieren und hämische Spiel mit dem Ernst der Moderne? Dann: ein Hologramm von Boy George. Grünlich-lebendig hängt er im Museum, schaut mit ausdruckslosen Augen in deine Richtung und doch - durch dich hindurch. Die Gleichgültigkeit im Chaos. Das Selbstverständnis dessen Beherrschung.

Sie sind spannend, die jüngsten Vergangenheiten: in lebendiger Erinnerung, jedoch mit Minimalabstand für eine breite Betrachtung. Lustig wird sein, wie man unsere Epoche einst in Museen ausstellen wird. Ebenso, welcher Name für sie gefunden werden wird.

***

"Endstation Meer?": Museum für Gestaltung, Di-So 10-17, Mi 10-20; Eintritt GRATIS
Noch bis 23. 9. 2012
"Postmodernism": Landesmuseum Zürich, Di-So 10-17, Do 10-19; Eintritt 10.- / ermässigt 8.-
SPEZIAL: bis 3. 8. 2012 jeweils Do und Fr bis 21 Uhr geöffnet (da kamen wir gratis rein)
Noch bis 28. 10. 2012
// Antonia Steger  // 15. Juli 2012 0 Kommentare

Schau, wie ich mich verändere!

Das eigene Älterwerden fällt nach der Pubertät nicht mehr so häufig auf - vielleicht bei den ersten weissen Haaren und Falten, dann an runden Geburtstagen und bei Gesundheitsproblemen. Umso faszinierender ist es, wenn Veränderungen des Körpers sichtbar gemacht werden.

Der Schweizer Kurzfilm "Le Miroir" zeigt in 6 min das Auf und Ab eines Menschenlebens, das körperliche und seelische Älterwerden im Morgenspiegel:



Der Produktionsaufwand ist beträchtlich (siehe Making-Of), der Film hat bereits auf der ganzen Welt Preise gewonnen und wird seiner Bedeutung entsprechend mit einer eigenen Website vermarktet. Tatsächlich interessieren sich Menschen in vielfältiger Weise für das Sichtbarmachen von Körperveränderungen.

// Antonia Steger  // 8. Juli 2012 0 Kommentare

"Das chame grille"

Coop sorgt mit seiner Grill-Kampagne für rote Köpfe bei Schwiizerdüütsche. "Tümmer äfach tsch tsch!"

Der TV-Spot dazu:



Abgesehen davon, dass der Spot unglaublich schlecht synchronisiert ist, funktioniert die Aktion laut Angaben des Geschäftsführers der Marketing-Agentur so gut, dass das charakteristische "Tsch Tsch" bereits im alltäglichen Sprachgebrauch für das Grillieren verwendet wird (was ich mir allerdings lieber nicht vorstellen möchte).
// Antonia Steger  // 5. Juli 2012 1 Kommentare

Richtig leben: unmöglich

Verantwortungsbewusst erzogen, enthusiastisch erwachsen geworden - heillos überfordert. Wer richtig leben will, steht vor einer ganz schön langen Liste an schlechtem Gewissen. Ein züchtiger Wutausbruch.


// Antonia Steger  // 4. Juli 2012 0 Kommentare

Das Paradies auf dem Balkon

Wenn sich Städter mit ihrer Umgebung auseinandersetzen, legen sie immer häufiger Gärten an. Doch auch im kleinen Stil mit "balcony gardening" ist die Wiederentdeckung der Freude am Essen möglich.

Das zähe Weitermachen hat sich gelohnt: Mein Balkon beherbergt zum ersten Mal seit drei Sommern gesunde Pflanzen und kräftig wachsende Tomatensetzlinge. Das urban gardening, also Gärtnern in der Stadt, geistert schon lange durch das Internet und die Medien, mittlerweile ist es auch beim europäischen Publikum voll angekommen:



Die Kreativität, wie in der Stadt ganze Gärten angelegt werden, ist enorm und nimmt teilweise echt lustige Formen an. Was andere im grossen Stil aufbauen, ist aber auch auf dem eigenen Balkon möglich: Ein kleines Topfgärtchen gibt dir ein bisschen Bewusstsein über unsere Nahrungsmittel zurück.

Tönt klischeehaft? Möchtegern-weltverbesserisch? Öko-Sandaletten-gruusig? Das stimmt alles. Aber damit ist nicht erzählt, wie es sich anfühlt, wenn du deinen ersten Kräutertopf einrichtest, unbitteren Ruccola säst und nach ein paar Tagen bereits erntest und du dich als Luxus an einen Erdbeer-Setzling wagst.
  • Mein Essen hat viel mehr Wert, seit ich weiss, wie viel Pflege ein einziges Gemüse braucht. 
  • Nicht nur mein Verstand, auch mein Herz erfreut sich umso mehr am liebevoll aufgezogenen Essen, sogar das Kochen ist endlich wieder Genusskultur.
  • Meine von spanischem Gemüse entwöhnte Zunge wird durch neue Geschmacksexplosionen so richtig wiederbelebt. Da meine Tomaten noch auf sich warten lassen, sind es vor allem die vielen Kräuter, die mein Geköche verfeinern (Basilikumrisotto, zum Dessert in Zitronensaft und frischer Pfefferminze marinierte Beeren...).
  • Ich bin nun motiviert, auch ausserhalb meiner Töpfchen ein bisschen mehr auf das zu achten, was ich kaufe - und dafür auch mehr zu bezahlen. 
  • Es macht schlichtweg total Spass, vom Computer wegzugehen und in der Erde rumzuneuseln (auf dem Balkon muss man ja keine Angst vor Schnecken haben).
Ein Balkongärtchen verbessert nicht die Welt. Wir bleiben auch mit urban gardening und erst recht mit "balcony gardening" dieselben hungrigen Babies, die auf Mutti Migros' Brust angewiesen sind. Doch es ist wenigstens ein Anfang. Modeerscheinungen sind manchmal doch was Gutes.

Impressionen:

Balkontomaten
Sorgenkind Oregano
Kräuter und Luxus-Erdbeere
Basilikum (endlich) und Pfefferminze
Jungkräuter