Wichtige Denker entwerfen ein Weltbild, in dem alles stetig in Veränderung ist und sogar die Wahrheit von Menschen hergestellt wird. Unsere idealisiertesten Traumberufe zeigen jedoch, dass wir uns trotzdem nach klaren Zielen sehnen.
Die letzten grossen Denker, die seit den 1970er Jahren breiten Einfluss auf unser Welt- und Menschenbild haben, sind Michel Foucault und Jacques Derrida, zwei schillernde Personen und zu Lebzeiten Medienstars. Die darauf losgetretene Denkströmung wird häufig etwas vage unter dem breiten Begriff Poststrukturalismus zusammengefasst.M. Foucault, der homosexuelle Allesdenker, der sich nicht um Konventionen scherte und eine Geschichte des Wahnsinns schrieb (Bild: Internet) |
J. Derrida, der seinen eigenen Anblick im Spiegel ein Leben lang nicht ertrug und fast unverständliche Texte publizierte (Bild: Steve Pyke) |
Diese Denker entwerfen Weltbilder, die von der Auflösung aller Sicherheiten erzählen: Wörter haben keine eindeutige Bedeutung, sondern variieren je nach Sprecher, Situation und sogar Hörer; Wahrheit gibt es nicht im alten Sinn, sondern wird jeweils von den Menschen hergestellt und wandelt sich darum ständig; es gibt keinen idealisierten Zustand, von dem wir alle herkommen, ebenso gibt es kein Ziel. Ja, alles ist ein Spiel von Veränderungen.
Wie man dazu stehen soll, ist uns selbst überlassen: Wir können dieses Fest entweder feiern oder darüber jammernd zugrunde gehen. Und doch bin ich mir manchmal nicht sicher, wie weit ein solch wandelndes Weltbild tatsächlich bei uns angekommen ist. Leben wir das Fest der Unfestigkeiten? Welche Sicherheiten brauchen wir?
Was würden Foucault und Derrida zu den idealisierten Traumberufen sagen?
Ich gebe zu: Ich höre unheimlich gerne auf. Es ist ein herrliches Gefühl, etwas abzuschliessen, die Reste fortzuwerfen und zu sagen: Voilà! Hier ist es! Den Gipfel zu erreichen, bei Blogger auf den Knopf "Veröffentlichen" zu klicken, die Vernissage der mühsam erarbeiteten Ausstellung gefeiert zu haben. Es ist eine seltsame Illusion von Macht über den Lauf der Dinge. Diese Lust, auf ein Ziel hinzuarbeiten und dieses abzuschliessen, scheint mir aber keine zeitgemässe Lust, wie sie Foucault und Derrida entwerfen. Wie ich sie verstehe, betonen sie viel mehr als jemand zuvor die Notwendigkeit des Weges, der Veränderung, des freien Flottierens. Doch wenn man sich die Traumberufe von heute anschaut, sprechen diese meine Sprache:- Der Architekt erzeugt sehr sichtbare Ziele seiner Arbeit, die meist sogar noch Jahrzehnte lang sichtbar bleiben.
- Der Chirurg schliesst seine Arbeit bei jedem Menschen (hoffentlich) mit dem Gewissen ab, etwas Gutes getan zu haben.
- Der Journalist schreibt einzelne Artikel, die je nach Rechercheaufwand bereits ein Gipfel der Bemühungen sind, doch spätestens beim gedruckten Magazin ist klar, woran er gearbeitet hat.
- Der Anwalt erfährt in der Urteilsverkündung für seinen Mandanten auch ständig ein Urteil über seine Arbeit.
- Der Schauspieler und Musiker bekommt Rückmeldung über seine Leistungen im Moment des Applaus.
Natürlich gibt es auch Berufe, die von Interessenten überrannt werden und ein ganz anderes Bild abgeben:
- Die Motivation, heute in eine Bank arbeiten zu gehen, mag kaum die Freude über einen gelungenen Handel sein. Vielmehr steht wohl die kontinuierliche und extreme Anhäufung von Kapital im Vordergrund.
- Unter den Geisteswissenschaftlern möchten erstaunlich viele Lehrer werden - auch ein Beruf, der sich eher durch stetige Auseinandersetzung mit Jugendlichen denn durch Erreichen sehr konkreter Ziele auszeichnet.
- Zwischendrin stehen die Psychologen: Einerseits gibt es auch hier das Ziel, einen Menschen nach erfolgreicher Therapie lebensfähig zu entlassen, andererseits ist sogar den meisten Laien klar, dass dieser Prozess langwierig ist und nicht immer eindeutig abgeschlossen werden kann.
Besonders interessant ist, die "dunkle Seite" der Traumberufe zu betrachten. Selten hört man jemanden Hausarzt als Traumberuf angeben, ebenso wenig architektonischer Mitarbeiter oder Journalist, zuständig für das Horoskop und den Veranstaltungskalender. Ebenso ist eine Berufsbezeichnung wie Musiklehrer ein eher später Kompromiss, der - nicht selten zähneknirschend - getroffen wird, wenn die eigene Karriere etwas im Sand verlaufen ist. Auch den Wunsch nach einem kontinuierlichen Bürojob bei "irgendeiner Versicherung" habe ich bisher nur einmal gehört. Bei Vorstellungen über Traumberufe steht die eigene Leistung im Vordergrund, die sich in einem Moment oder in einem Gegenstand entlädt.
Die Realität dieser Berufe liegt meistens jenseits von dem, was sich ein Laie utopisch ausmalt. Dies wird auch im Verlaufe vieler Studienkarrieren klar, sodass sich viele Jungen wiederum von ihrem Traumberuf distanzieren, ihn relativieren. Doch diese Illusionen, die wir uns machen, diese idealisierten Berufe, zeigen tiefe Bedürfnisse, die trotz Foucault und Derrida noch vorhanden sind. Unter anderem, dass wir Ziele und Abschlüsse einfach doch lieben, dass wir auf dem Weg vielleicht schon frei flottieren können, jedoch froh sind, wenn sich das stetig Verändernde zum Ende in einem Punkt sammelt. Und wenn die Welt uns keine Endpunkte mehr liefert, machen wir diese uns halt selbst. Wenigstens als Vorstellung in unseren Köpfen. In diesem Punkt sind wir wiederum sehr poststrukturalistisch.
1 Kommentare:
So habe ich den Wunsch nach den "Traumberufen" Arzt, Anwalt, Architekt etc. noch gar nicht gesehen... aber da ist was Wahres dran. Vermutlich ist die Frage nach dem, was man später damit (=mit dem Studium) mal machen möchte, deswegen auch so prominent. Ziele, die erreicht werden können, geben dabei mehr Sicherheit als beispielsweise der vage Karriereweg vieler Geisteswissenschaftler.
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